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An dem Tag, als der Mensch
das letzte freie Pferd aus der
Steppe fi ng, wurden die Zahnprobleme
geboren. Denn mit
seiner Domestikation bekam das
Pferd ein neues Fressverhalten.
Und dadurch zu lange Schneidezähne,
Zahnhaken und eingerissene
Zähne. Deshalb braucht
jedes moderne Pferd regelmäßige
Zahnpfl ege.
Zugegeben: Pferdezahnpfl ege sieht ein wenig
brachial aus. Mit ellenlangen Fräsmaschinen
sägen Tierärzte und Dentalpraktiker
im Pferdemaul herum. Dabei produzieren sie
Geräusche, als wenn Metall auf Knochen kratzt.
Der Patient schwankt betäubt im Takt der Fräsmaschine
nach rechts und links, lasst den Kopf
hängen und sieht mit seiner Maulsperre aus, als
könnte er am Ende doch kotzen.
Und so etwas soll man seinem Pferd
ein- bis zweimal im Jahr antun? Einfach
so ganz ohne Grund?
„Ja“, sagt Pferde-Dentistin Gabi Schmidt aus
Waldbröl. „Schon beim Fohlen sollte die Zahnstellung
kontrolliert werden. Im Zahnwechsel
halbjährlich, danach jährlich.“
Denn einen Grund gibt es immer: Kein Pferd
frisst heute mehr so, wie die Natur es vorgesehen
hat. Und weil das so ist, entstehen bei allen
Pferden Zahnprobleme – mal mehr, mal weniger
ausgeprägt.
Angefangen hat alles in der kargen, sandigen
Steppe. Hier entwickelte sich das Pferd vor Jahrtausenden
zu dem, was es ist – ein Flucht- und
Herdentier, optimal angepasst an seinen Lebensraum.
Bis zu 16 Stunden am Tag verbrachte
es damit, trockenes, silikatreiches Gras mit seinen
Schneidezähnen abzubeißen und mit den
Backenzähnen zu zermahlen. Manchmal fraß
es sogar ein wenig Sand mit. „Silikate sind sehr
harte, abreibende Stoffe“, erklärt Gabi Schmidt.
„Unser Gras heute ist ganz dicht und weich und
silikatarm, so dass das Pferd die Schneidezähne
kaum abnutzt.“ Das ursprüngliche Steppentier
schliff sich beim Fressen pro Jahr zwei bis drei
Millimeter Zahnschmelz ab. Und genau so weit
wachsen noch heute die Schneidezähne nach.
Pech für das domestizierte Pferd, dass es zuweilen
nicht einen einzigen Millimeter loswird.
Am härtesten trifft es Boxenpferde, die gar kein
Futter mehr abbeißen, aber dafür viel hartes
Kraftfutter mit den Backenzähnen zermahlen.
Diese Tiere haben nach einigen Jahren so lange
Schneidezähne und so kurze Backenzähne, dass
sie Ober- und Unterkiefer gewaltsam aufeinander
pressen müssen, um überhaupt noch kauen
zu können. Gabi Schmidt kennt die Folgen
nur zu genau: „Durch das starke Zusammenpressen
der Kiefer entsteht ein großer Druck
auf die Schneidezähne und die Kaumuskulatur,
welche verspannt und schmerzhaft wird. Von
der Muskulatur im Kiefergelenksbereich setzen
sich diese Verspannungen weiter übers Hinterhauptsbein,
die Rückenmuskulatur bis in die
Hinterhand fort.“ Es kommt zu starken Veränderungen,
die sich auch auf das Reiten auswirken
wie Taktunreinheiten, Verwerfen im Genick,
Aufrollen, gegen das Gebiss gehen, Kopfschlagen
und Steigen.
Auch in der Maulhöhle des Pferdes beginnt ein
Teufelskreislauf. Durch den enormen Druck, mit
dem das Pferd die Backenzähne zusammenpresst,
kann sich der Kiefer verbiegen. Außerdem
vollführt das Pferd beim Kauen weniger
mahlende Seitwärtsbewegungen mit dem Unterkiefer.
Diese Bewegungen sind aber von derNatur gewollt, damit sich alle Zähne am breiteren
Oberkiefer und am schmaleren Unterkiefer
gleichmäßig abnutzen. Kommt es nicht dazu,
entstehen so genannte Schärfen, Rampen und
Zahnhaken. „Es gibt Zahnhaken, die sehr spitz
ausgeprägt sind“, erklärt Schmidt. „Rampen
sehen aus wie Skisprungschanzen. Schärfen
entstehen am Oberkiefer außen und am Unterkiefer
auf der Innenkante.“
Dass ein Pferd Zahnprobleme hat, erkennt der
Besitzer unter anderem daran, dass während
des Fressens große Mengen Futter wieder herausfallen
– eine Folge der sich nicht berührenden
Backenzähne.
Ein anderes Problem, an dem 30 Prozent aller
Pferde leiden, sind Wolfszähne. Diese Zähne
sind Überbleibsel (Rudimente) aus der Urzeit.
Die Urwildpferde lebten im Wald und ernährten
sich von Blättern. Daher waren ihre Backenzähne
anders gebaut und mehr an der Zahl. Aus
ursprünglich sieben bis acht einzelnen Backenzähnen
wurden durch den Umzug des Pferdes
auf die Steppe sechs große, schmelzfaltige
Zähne. „Den siebten und manchmal auch den
achten Zahn fi nden wir als Wolfszahn meistens
vor dem ersten oberen Backenzahn“, sagt Gabi
Schmidt. „Sie können aber auch im Unterkiefer
auftreten. Manchmal sind sie blind, das heißt,
sie sind noch von Schleimhaut überzogen und
als Knubbel unter dieser zu fühlen.“ Wolfszähne
verursachen große reiterliche Probleme, da
sie genau an der Stelle liegen, an der das Gebiss
einwirkt. Deshalb sollten diese Zähne immer
von einem Dentist oder Tierarzt gezogen werden.
Ziehen muss Gabi Schmidt auch so genannte
Milchzahnkappen. Sie entstehen, wenn die
bleibenden Zähne den Milchzahn nicht herausdrängen,
sondern dieser auf den Zweiten sitzen
bleibt wie eine Kappe. Im schlimmsten Fall können
die Milchzähne so hartnäckig sein, dass die
zweiten Zähne über ihnen aus dem Zahnfl eisch
drängen. Das Pferd hat dann eine dritte Zahnreihe.
In solchen Fällen müssen die Milchzähne
operativ entfernt werden.
Neben der regelmäßigen Zahnkontrolle können
Pferdebesitzer einiges tun, um Zahnhaken,
Schärfen und Rampen vorzubeugen. Schmidt
schlägt vor, den Pferden Baumstämme auf die
Koppel zu legen, an denen sie ihre Schneidezähne
abnutzen können. Pappel, Weide oder Birke
seien besonders geeignet. „Außerdem sollte
Kraftfutter gequetscht gefüttert werden. Ganzer
Mais ist wegen seiner Härte sehr schädlich für
die Zähne unserer Pferde. Häufi ge Folgen davon:
gerissene Zähne!“
Ist die Zahnpfl ege erst einmal fällig, so hat der
Pferdehalter die Wahl, entweder einen Tierarzt
oder einen Pferdedentisten zu bestellen.
In Deutschland gibt es etwa 50 ausgebildete
Pferde-Dentalpraktiker. Schmidt schlägt vor,
diejenigen Therapeuten, die in die engere Wahl
kommen, nach ihrer Ausbildung zu befragen.
Außerdem sei es wichtig, als Besitzer über
alle Missstände im Pferdemaul ausführlich informiert
und aufgeklärt zu werden. „Die herkömmliche
tierärztliche Ausbildung ist nicht auf
Zahnpfl ege ausgelegt“, sagt Schmidt „Früher
wurde diese Arbeit eher von den Hufschmieden
gemacht.“
Vor 75 Jahren pfl egte man die Zähne der Pferde
allerdings nicht aus Tierliebe – man wollte bei
den Pferden lediglich eine optimale Futterverwertung
erzielen, damit mehr Getreide für die
Bevölkerung übrig blieb. Durch die maschinelle
Revolution in der Landwirtschaft nach dem
Zweiten Weltkrieg verlor das Pferd an Bedeutung.
Und mit ihr auch das Wissen um seine
Zahnpfl ege. Erst seit einigen Jahren beschäftigen
sich Tierärzte wieder mit diesem Fachbereich.
Die Dentisten widmen sich ihm sogar voll
und ganz.
Wird Gabi Schmidt zu einem Patienten gerufen,
so untersucht sie zunächst das unsedierte Pferd
mittels einer speziellen „Reingreiftechnik“, die
durch ihren Ausbilder, den Kanadier Louis Pequin,
entwickelt wurde.
Ohne dabei die Zunge herauszuziehen, greift
Schmidt in den zahnfreien Raum zwischen
Schneide- und Backenzähnen und von dort aus
nach hinten in die Mundhöhle. Eine Technik, die
der Laie besser nicht ausprobieren sollte – „das
lernt man nicht von heute auf morgen.“
Nacheinander fasst Schmidt so alle Zahnreihen
ab und notiert Fehlstellungen, hohe oder lose
Zähne, Rampen und Haken in einem Befundbogen.
Mit Hilfe dieses Befundes wird dem
Besitzer ausführlich erklärt, wie Zahnprobleme
entstehen und warum eine Zahnbehandlung
notwendig ist.
Wenn der Besitzer sich nun für eine Behandlung
entscheidet, kommen Kosten in Höhe von 70 bis
150 Euro auf ihn zu. Außerdem muss er einen
Tierarzt bestellen, der das Pferd für den Dentisten
sediert. Diese Kosten belaufen sich noch
einmal auf etwa 40 Euro.
Nach der Narkose werden Zahnhaken mit einem
speziellen Diamantfräser entfernt. „Da dieser
Fräser nur auf harten Substanzen arbeitet, sind
ernsthafte Verletzungen der Schleimhaut ausgeschlossen“,
erklärt Schmidt. „Die Behandlung
von hohen Strukturen im hinteren Backenzahnbereich
und das Runden der scharfen Kanten
geschieht ausschließlich durch Raspelarbeit.“
Zu lange und schiefe Schneidezähne werden
mit einer Diamantscheibe Stück für Stück abgeschliffen,
bis ein entspannter Backenzahnkontakt
hergestellt ist. Am Ende muss eine gerade
Lücke zwischen den Schneidezähnen entstehen,
wenn das Pferd den Kopf oben hält. Nimmt das
Pferd den Kopf zum Boden, schiebt sich der
Unterkiefer nach vorne und die Lücke ist geschlossen.
Das Pferd kann so problemlos ohne
schmerzhaften Druck Gras abbeißen.
Kuriose Fakten über Pferdezähne
1. Karies gibt es bei Pferden praktisch nicht – außer bei gesplitterten oder abgerissenen
Zähnen, wo sich Futter in den Bruchstellen ablagern kann. Pferdezähne sind viel härter
als Menschenzähne.
2. In den 30er Jahren erfand die Firma Hauptner aus Solingen eine wassergekühlte Schleifmaschine
zur Korrektur von Pferde-Zahn-Anomalien. Allein das Antriebs-Aggregat war
so groß und schwer, dass es auf einem Anhänger transportiert wurde.
3. Eine Zahnspange für Pferde gibt es theoretisch bereits. Nur wurde sie bisher noch nicht
eingesetzt. Sie wurde entwickelt, um Überbisse im Fohlenalter zu kurieren. Allerdings
müsste das Fohlen dann Tag und Nacht eine Platte mit einem Drahtgestell im Maul haben,
was praktisch kaum zu verantworten ist.
Ein ausgewachsenes Pferd hat 36 (Stuten) bzw. 40 (Hengste und Wallache) Zähne.
Diese bestehen aus:
12 Schneidezähne (Incivisi, benannt I1, I2, I3, also drei in jeder Kieferhälfte)
4 Eckzähne oder Hengstzähne (Caninus, benannt C, einer in jeder Kieferhälfte)
12 vordere Backenzähne (Prämolaren, benannt P2, P3, P4, drei in jeder Kieferhälfte)
12 hintere Backenzähne (Molaren, benannt M1, M2, M3, drei in jeder Kieferhälfte)
sowie evtl. ein oder mehrere Wolfszähne (benannt P1, da der Wolfszahn als erster der
Prämolares gewertet wird)
Von M1 bis M3 und von C werden keine Milchzähne angelegt. Wolfszähne erscheinen erstmalig
beim 5-6 Monate alten Fohlen. Die bleibenden M1 stoßen mit einem Jahr durch. Als
nächstes wechseln I1, P2, P3 und M2 im Alter von 2,5 Jahren. Mit 3,5 Jahren schließlich
brechen I2, P4 und M3 durch. Erst mit 4,5 Jahren wechselt I3 und C stößt durch.
Hinweise auf Zahnprobleme:
große Mengen aus dem Maul
fallendes Futter
viel Kraftfutter ins Maul nehmen
das Heu vor dem Kraftfutter essen
Heu- oder Graswickel kauen
Änderung des Saufverhaltens
Anormale Kaubewegungen
Schlechter Atem
Permanent hängende Unterlippe
Schlechte Laune Kopfscheue
Gewichtsverlust Stumpfes Fell
Blutungen aus dem Maul
Asymmetrien im Gesicht
Lange Fasern im Kot
Unregelmäßige oder ausbleibende
Rosse, Deckunlust
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