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Als Fazit des sehr informativen und unterhaltsamen Nachmittags bleiben Informationen,
die manch einem sicher auch unangenehm aufstoßen. Das junge Pferd balanciert das
Reitergewicht mit Hilfe des Nackenbandes aus und braucht dafür unbedingt ausreichend
Kopffreiheit, sonst werden die Rückenmuskeln zu sehr als Tragemuskeln missbraucht.
Es muss die Gelegenheit haben, die Nase tief und vor allem vor der Senkrechten
zu halten. Im Laufe des Trainings kräftigen sich die Muskeln; hier sind vor allem
die oberen Halsmuskeln wichtig, die mit zunehmender Kraft die Wirbelsäule in eine
Position ziehen, in der das Pferd den Reiter tragen kann, ohne die Rückenmuskeln
dafür gebrauchen zu müssen, so dass diese ihre Funktion als Bewegungsmuskeln ungestört
erfüllen können. Ein solches Training bedarf eines längeren Zeitraumes, der an
sich auf zwei Jahre veranschlagt werden kann, beim gut gezogenen modernen Warmblut
können es auch mal "nur" anderthalb Jahre sein.
Erläutert wurde außerdem, worauf beim korrekten Stellen des Kopfes zu achten ist.
Auch hier wieder die Prämisse "Die Nase muss immer vor der Senkrechten sein",
sonst klappt das Stellen rein aufgrund der Konstruktion des Genicks nicht mehr
und das Pferd kann sich dort nur noch festmachen. Und, so die weitere Erläuterung:
Genick fest – Rücken fest – alles fest.
Verspannung wurde als die Ursache
sehr vieler Gesundheits- und Rittigkeitsprobleme beschrieben. Häufige Ursachen:
Man vergisst die Pausen (erfahrene Reiter arbeiten immer in sehr kurzen Reprisen
von wenigen Minuten), man verwechselt das Bedürfnis eines Pferdes nach Pause (z.
B. der vor allem beim jungen Pferd nach einer Weile auftretende Versuch, sich
herauszuhebeln und sich zu verwerfen) mit Widersetzlichkeit und beginnt mit Korrekturmaßnahmen,
man versucht, Verspannungen durch Gegenziehen zu lockern (z. B. den Hals des Pferdes
nach rechts ziehen und dort halten, wenn es sich auf der linken Seite festmacht).
Nicht zuletzt wurde die Überdehnung des Nacken-Rückenbandes und die dadurch entstehenden
Problematiken erläutert, die durch die laterale Hyperflexion (Rollkur) auftreten,
also das (längerfristige) Engmachen des Pferdes hinter die Senkrechte bei tiefer
Kopfposition. Auch
das Thema "Zügellahmheit" kam zur Sprache und wurde anhand einiger Video-Beispiele
demonstriert. Zügellahmheit beruht nicht auf diagnostizierbaren Entzündungen von
Bändern, Sehnen oder Gelenken; sie hat ihre Ursache fast immer in physischen Verspannungen,
sei es durch falsches Training, durch zu große Sättel, die Druck auf den empfindlichen
Lendenbereich ausüben oder auch durch psychischen Stress.
Für viele überraschend
war sicher die Aussage, dass ein Pferd, das locker über den Rücken schwingt, zwar
für eine gute Dressur (so wie man sie gelegentlich auch innerhalb der FN-Welt
durchaus noch sieht) unabdingbar ist, dass aber ein Reiten "ohne Rücken" absolut
kein Problem darstellt, solange die Rückenmuskeln entspannt ihre Aufgabe als Bewegungsmuskeln
erfüllen können. Auch das Spazierreitpferd, das ohne schwingenden Rücken, aber
entspannt am langen Zügel, Kopf tief, Nase vor, Öhrchen vorn, mit zufriedenem
Gesicht seinen Reiter durch die Gegend trägt, ist gesundheitlich gut dran. Distanzpferde
beispielsweise laufen am besten und am "haltbarsten", wenn sie sich selbst ausbalancieren
können, Kopf und Hals also frei haben, und den Reiter über das Nacken-Rückenband
tragen können. Das erlaubt zum einen dem langen Rückenmuskel, seine Aufgabe als
Bewegungsmuskel ungestört auszuführen, andererseits wird das Pferd eher schwunglose,
also gelaufene Bewegungsabläufe wählen, weil diese kräfteschonender, ökonomischer
sind. Heuschmann erwähnte, dass selbst die altvorderen Klassiker im Sinne der
Légèreté (von de la Guérinière bis hin zum Meister der Neuzeit, Nuno Oliveira)
oftmals Pferde mit "losem Rücken" ausbildeten, die dann z.B. einen sehr langsamen,
gelaufenen Trab ohne Schwebephase und einen sehr langsamen, gelaufenen Galopp
im Viertakt zeigten.
Was den Westernreiterling dann gleich mal an die
Pleasurepferde denken lässt. Wobei mir hier die Transferleistung zum Westernreiten
schwer fällt, da es nicht ganz dieselben Paar Schuhe ist und es mit dem ausreichend
breitflächigen Hintergrundwissen hapert. Dennoch drängen sich u.a. die vielen
Worte von Jean Claude Dysli zum Thema "französische Balancereiterei" mal
wieder nachdrücklich ins Vorderhirn. Der Aspekt, dass ein Pferd mit tiefem Kopf
und Nase vor der Senkrechten allein durch diese Position das Nacken-Rückenband
streckt und somit den "Rücken anhebt", in Verbindung mit eher gelaufenen als schwungvoll
"durchgetretenen" Gängen, wäre ein genaueres Nachfragen bei guter Gelegenheit
wert. Vor allem im Zusammenhang mit der Tatsache, dass jedes hinter die Senkrechte
Bringen des Pferdes das Nacken-Rückenband überdehnt und trotz ggf. kurzfristiger
Erfolge dem Pferd auf lange Sicht massiv schadet – was u.a. zu einem kritischeren
Blick auf viele Reiningpferde im Showring, aber ganz allgemein auch auf allgemeine
tägliche Trainingsgewohnheiten führen sollte.
Aber trotzdem können wir
Westernreiter stolz auf uns sein, We Can Do It! (Zwinker) Beeindruckt äußerte
sich Dr. Heuschmann über einen älteren Cowboy, der kürzlich bei ihm zu Gast war.
Dessen Ausführungen zur Verbundenheit des Cowboys mit seinem Arbeitspferd hatten
ihn sehr nachdenklich gestimmt, vor allem die geschilderte Bereitschaft des Pferdes,
kleinsten Signalen zu folgen und nach einem Moment der höchsten Anspannung wieder
ruhig dazustehen, bei dem Reiter zu bleiben und in aller Gelassenheit am losen
Zügel auf ihn und seine weiteren Wünsche zu warten. Wie anders, sinnierte er,
sei das Bild bei vielen Dressurpferden, die bei losgelassenem Zügel sofort und
im Höchsttempo die Arena verlassen würden. Auch die unkomplizierte, aber nachdrückliche
Art des Cowboys, Sachverhalte zu analysieren, beeindruckte ihn. Anlässlich eines
Turnierbesuches betrachtete der Cowboy sich eine Zeitlang das Ziehen, Stechen
und Würgen auf dem Abreiteplatz und fasste dann das Gesehene lakonisch zusammen:
"They don't love their horses." Ein Satz, den sich jeder – ohne sich im selbstpersönlichen
Gutmensch-Eiteitei zu verlieren – durchaus immer mal wieder vergegenwärtigen sollte.
Also nicht nur "die da", sondern auch "wir hier".
von
Petra Kleinwegen
Eine
aktuelle Diskussion finden Sie auf w!.com hier. Die
Website von Dr. Gerd Heuschmann Fragen? Die 20 wittelsbuerger.com-Experten
helfen gerne weiter, z.B. Nico Hörmann, Grischa Ludwig oder Daniel Klein
für den Bereich Reining. Zum
wittelsbuerger.com-Expertenforum gelangen Sie hier.
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